Reimar Gilsenbach: O Django, sing deinen Zorn! Sinti und Roma unter den Deutschen. Berlin: BasisDruck, 1993

316 Seiten, s/w-Fotos, Paperback, ISBN 3-86163-054-0

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Inhalt:
Das Beste für den Chartjas • Meine Selbsrechfertigung • Upre Roma! Geschichtslose Zigeuner machen Geschichte • Unendliche Angst im Tausendjährigen Reich • Manisch rackern unter Deutschen. Unsere Interaktion mit Zigeunerkultur • Totgeschwiegen im zigeunerärmsten Sozialismus • O baro del. Ungeliebter Gott in christlichen Kirchen • O Django, sing deinen Zorn! • Zu den Beiträgen dieses Buches



Das Beste für den Chartjas
Jeder Gadscho* glaubt zu wissen, wie die Roma leben sollten. Andere anders sein lassen? Nur das nicht! Selbst der Gutwilligste möchte unentwegt an den „Zigeunern„ herumbessern und „normale Menschen“ aus ihnen machen. In der Slowakei erzählte eine Romni uns ein Märchen, das diesen Klugscheißern auf den Leib geschrieben ist.
Del, also Gott, hat dem Chartjas, das ist der Romano Schmied, eine lohnende Arbeit nach der anderen verschafft. Zu Reichtum gekommen, hat der Rom all seinen Zaster wieder eingebüßt – verbumfiedelt, an die Reichen verschenkt, versoffen. In seiner übergroßen Güte gibt Del ihm eine letzte Chance: den Posten des Aufsehers im Paradies. Aber der Chartjas läßt das Karussell mit den Toten wie verrückt rasen und bringt das ganze Paradies durcheinander. Nun heißt es weiter:

Da kam Del das Paradies kontrollieren. Erschrocken rief er: „Jaj, Rom, was hast du da angestellt? Ich will nur dein Bestes, aber du richtest lauter Unheil an!“
Der Rom erwiderte: „Gib doch endlich Ruh, Bärtiger, und laß mich mein Bestes auf meine Weise machen, nicht wie du willst.“ Aber Del weiß es selbstredend besser. Seine Antwort ist von eben dem Hochmut geprägt, dem der Rom bei allen Gadsche begegnet, selbst bei jenen, die ihm helfen wollen: „Das kannst du nicht, Rom, das kannst du nicht! Ich bin doch der Sachbearbeiter für das Beste, das ist nicht deine Angelegenheit. Ich bin hier, um das Beste zu schaffen, und nur ich weiß am besten, was für dich das Beste ist.“

Der Chartjas aber hat das von höchster Stelle verordnete Beste gründlich satt. Nicht einmal im Paradies will er bleiben. Er sagt zu Gott: „Bärtiger, laß mich heimkehren zu meiner Frau, zu meinen Kindern, in das Dorf, wo ich früher Chartjas war.“
Wie jeder rechte Zigeunerfreund gibt auch Gott sich nicht mit dem Gedanken zufrieden, daß der Rom leben will, wie er nun einmal lebt. Gott macht noch einen letzten Versuch. Auch der schlägt fehl, und das Märchen endet tragisch: „Du wirst dich nie bessern, Rom!“ Del ließ auf den Rom die Kälte los und hat ihn zu Eis gefrieren lassen, weil Del wirklich nicht wußte, was er sonst noch mit dem Romano Chartjas beginnen sollte.

Eric Otto Winstedt, ein englischer Romani-Forscher, hat den Zwiespalt, in dem Gott und die Gadsche sich befinden, wenn sie ihr „Zigeunerproblem“ lösen wollen, einmal anders herum formuliert, aus der Sicht der Roma also: „Wenn es auf dieser Erde wirklich Völker gibt, für die Erziehung nichts und Leben alles bedeutet, warum könnt ihr stinklangweiligen Erziehungsfanatiker sie nicht in Ruhe lassen?“
Brodowin, 4. Juni 1990

* Den Namen Rom (weiblich: Romni) gebrauchen die Roma nur für sich selbst, alle anderen, alle Nicht-Roma also, nennen sie Gadsche, Einzahl Gadscho.